HT 2008: Soziale Ungleichheit im Sozialstaat. Großbritannien und die Bundesrepublik im Vergleich

HT 2008: Soziale Ungleichheit im Sozialstaat. Großbritannien und die Bundesrepublik im Vergleich

Organisatoren
Hans Günter Hockers, Ludwig-Maximilians-Universität München; Winfried Süß, Zentrum für zeithistorische Studien Potsdam; Wilfried Rudloff, Universität Kassel; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2008 - 03.10.2008
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Von
Ulrike Lindner, Fakultät für Sozialwissenschaften, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

Soziale Ungleichheit ist ein Thema, das in jüngster Zeit Presse und Öffentlichkeit wieder stark beschäftigt. Die Tendenz, Ungleichheiten „wegzuindividualisieren“, die noch vor wenigen Jahren im öffentlichen Diskurs bestimmend zu sein schien, weicht mittlerweile einer neuen Aufmerksamkeit gegenüber den Strukturen sozialer Ungleichheit. Dies ist zum Beispiel in den aktuellen Diskussionen über Bildungsgerechtigkeit und wachsende Armut zu beobachten. Gleichzeitig wird die Lage des Sozialstaats in Europa, der vielen als Garant zwar nicht gleicher, aber abgesicherter Lebenschancen gilt, als zunehmend prekär empfunden. Sowohl die Sicherheit der Renten als auch die Leistungsfähigkeit anderer Sozialsysteme sind angesichts eines tiefgreifenden Wandels der ökonomischen, sozialstrukturellen und demographischen Rahmenbedingungen in Bedrängnis geraten. Den konzeptionellen Ausgangspunkt für die von Hans Günter Hockerts eingeleitete Sektion stellte nun eine Verknüpfung der Themen Ungleichheit und Sozialstaat dar, die zugleich in einen deutsch-britischen Vergleich eingebettet wurde und so ein höchst komplexes Themenfeld in Angriff nahm.

In seiner Einführung hob HANS GÜNTER HOCKERTS (Ludwig-Maximilians-Universität München) zunächst hervor, dass das Grundversprechen des Sozialstaats nicht eigentlich „Gleichheit“, sondern „Sicherheit“ sei. Soweit der Sozialstaat erworbene Lebensverhältnisse sichere, lasse er die Klassen- und Chancenstruktur einer Gesellschaft unangetastet und schreibe Statusunterschiede fest. Er könne soziale Ungleichheit jedoch nicht nur konservieren und legitimieren, sondern auch limitieren und reduzieren. Wenn er sich die Wertidee „mehr Gleichheit“ zu eigen mache, hege er Ungleichheitsräume ein oder verändere die Chancenstruktur der Gesellschaft im Sinne des sozialen Ausgleichs. Schließlich könne der Sozialstaat aber auch selbst soziale Ungleichheit hervorbringen, auf dem Wege der Inklusion und Exklusion oder im Zuge einer klientelistisch überformten Sozialpolitik. Der vergleichende Blick auf Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland könne dabei helfen, die Variabilität im Beziehungsverhältnis zwischen Sozialstaat und Ungleichheit genauer zu bestimmen. Denn diese beiden Sozialstaaten/Wohlfahrtsstaaten (beide Begriffe wurden in der Sektion synonym verwendet) unterschieden sich in ihrer grundsätzlichen Konstruktion deutlich. Hockerts stellte einige einschlägige Typologien vor, insbesondere die Typisierung von Gøsta Esping-Andersen. Esping-Andersen zählt Großbritannien zu den liberalen Wohlfahrtsstaatsregimes, die sich auf eine egalitäre, niedrige Grundsicherung der gesamten Bevölkerung konzentrieren und den freien Markt im Bereich der sozialen Sicherung wenig regulieren, während er die Bundesrepublik als konservativ-korporatistisches System einstuft, das als Sozialversicherungsstaat vor allem auf eine Sicherstellung des erarbeiteten Status zielt und Sozialleistungen stark an die Erwerbsbiographie knüpft. Hockerts wandte ein, dass solche Typisierungen stets problematisch seien, weil sie den „komplexen Eigensinn“ der nationalen Arrangements auf einzelne Klassifizierungsmerkmale reduzierten. In Wirklichkeit habe man es fast immer mit Mischformen dieser Typisierungen zu tun – ein Befund, den die folgenden Vorträge überwiegend bestätigten.

WINFRIED SÜß (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam/Ludwig-Maximilians-Universität München) befasste sich im ersten Vortrag des Panels mit dem Thema Armut im Wohlfahrtsstaat und konzentrierte sich besonders auf die Zeit nach der Wirtschaftkrise der 1970er-Jahre. In beiden Staaten folgte damals auf eine Periode der Prosperität im Zeichen von Sozialstaatsexpansion und dem Abbau sozialer Ungleichheit eine Phase der Sparzwänge, die zu wachsenden Einkommensunterschieden in der Bevölkerung führte. Die unterschiedliche Konzeption sozialpolitischen Eingreifens machte sich in dieser Situation deutlich bemerkbar. In Großbritannien lag das Niveau von Pensionen und Arbeitslosenunterstützung bei ca. 20 Prozent der Nettoeinkommen, gegenüber 50-70 Prozent in der Bundesrepublik. Die lediglich auf eine Grundsicherung abzielenden sozialstaatlichen Leistungen in Großbritannien wurden durch den Politikwechsel unter Margaret Thatcher, die grundsätzlich einen harten Sparkurs und einen Abbau sozialer Leistungen verfolgte, nochmals deutlich vermindert, mit erheblichen Folgen für die Bevölkerung: Die Armutsquote in Großbritannien stieg von 1978 bis 1988 von 7 auf 18 Prozent, während es in Westdeutschland bei einem eher leichten Anstieg blieb (von 7 auf 8 Prozent). Als aufschlussreich erwies sich Süß’ Analyse des Armutsdiskurses, in dem die unterschiedlichen gesellschaftlichen Konzeptionen von Gleichheit und Ungleichheit in den beiden Länder hervortraten: In der Bundesrepublik überwogen demnach Gesellschaftskonzeptionen, die soziale Unterschiede und Konflikte „überwölbten“; Armut wurde disparaten Gruppen zugeschrieben und die Diskussion über das Thema in entpolitisierte, von Verwaltungsexperten geprägte Räume verbannt. In der stärker von Klassenunterschieden geprägten Gesellschaft Großbritanniens hatten Armut und Ungleichheit dagegen stärkere gesellschaftliche Brisanz, auf die in politischen Kampagnen immer wieder rekurriert wurde. Süß verwies zudem auf die unterschiedliche Prägekraft historischer Erfahrungen: Während sich in der Bundesrepublik Kürzungen von Sozialleistungen und mögliche Massenarmut quer durch das politische Spektrum mit der Furcht vor einer politischen Radikalisierung wie in den 1930er-Jahren verbanden, verknüpfte man in Großbritannien – zumindest in konservativen Kreisen – mit einem Abbau von Sozialleistungen die Vorstellung eines Neubeginns aus eigener Kraft, der die Menschen aus ihrer von der Fürsorge des Sozialstaats verursachten Lethargie reißen werde. Generell trat Süß dafür ein, Wohlstandsgesellschaften stärker aus der Perspektive der Armut zu betrachten und die Prosperität der Nachkriegszeit als eine durchaus exzeptionelle Phase einzuordnen.

Beim sich anschließenden Thema der Bildungspolitik waren zunächst grundsätzliche strukturelle Probleme zu verhandeln: Während Bildung in Großbritannien stets als Teil des welfare state verstanden wurde, betrachtete man dies in der Bundesrepublik eher als ein ideologisch und strukturell abgekoppeltes Politikfeld. WILFRIED RUDLOFF (Universität Kassel) plädierte in seinem Vortrag vehement dafür, Bildung grundsätzlich unter sozialpolitischen Prämissen zu diskutieren, da Bildungseinrichtungen bedeutende „Stratifikationsinstrumente“ der Gesellschaft seien. In den 1960er-Jahren konnte sich, besonders in Großbritannien, ein sozialdemokratisches Verständnis von Bildungspolitik durchsetzen, das Schule als sozialpolitischen Direktionsmechanismus identifizierte und mit Hilfe von comprehensive schools bzw. Gesamtschulen versuchte, dem Ziel sozialer Gerechtigkeit näher zu kommen. Dabei konnte Rudloff zeigen, dass in Großbritannien die Diskussion um Chancenverteilung und Bildungsgerechtigkeit wesentlich früher und ausführlicher geführt wurde als in Westdeutschland. Auch in der Praxis klafften deutliche Unterschiede: In der Bundesrepublik besuchten 1980 lediglich 4 Prozent aller Schüler der Sekundarstufe Gesamtschulen, dagegen wurden bereits 80 Prozent der britischen Schüler (gegenüber 4 Prozent im Jahr 1960) in comprehensive schools unterrichtet. Hier kam ein weiteres Strukturmerkmal zum Tragen: Während Bildungspolitik in der Bundesrepublik im Wesentlichen auf der Ebene der Länder entschieden wurde, die bundesweite Bildungsreformen fast immer blockierten, konnte Großbritannien mit seiner zentralistischen Organisation politische Richtungsentscheidungen im Bildungswesen wesentlich einschneidender und schneller durchsetzen. Seit den 1980er-Jahren setzte in beiden Ländern ein Ernüchterungsprozess ein, da sich durch Bildungsexpansion und Bildungsreformen zwar die Bildungschancen der Geschlechter angeglichen hatten, soziale Unterschiede aber in beiden Gesellschaften weiterhin überaus prägend blieben. Hier wäre hinzuzufügen, dass die teuren Privatschulen (public schools) die britische Gesellschaft bis heute stark prägen, denn sie ermöglichen es den oberen Einkommensklassen, ihren Nachwuchs jenseits aller Streitigkeiten um das öffentliche Schulsystem auf eine erfolgreiche Karriere vorzubereiten. Die für die Elitenproduktion so zentralen Privatschulen trugen zur Reproduktion von Ungleichheiten in hohem Maße bei, während dieses Element in Deutschland weitgehend fehlt; insofern müssten sie in eine Untersuchung von Bildungspolitik und Ungleichheit mit einbezogen werden.

Den Ungleichheiten der Geschlechter im Wohlfahrtsstaat widmete sich CHRISTIANE KULLER (Ludwig-Maximilians-Universität München), die sich in ihrem Vortrag auf die Alterssicherung und die ganz unterschiedlichen Risiken für Altersarmut bei Männern und Frauen in der Bundesrepublik und Großbritannien konzentrierte. Generell konstatierte sie, dass besonders im bundesdeutschen Sozialstaat mit der Ausrichtung seiner Leistungen auf eine Normalarbeitsbiographie, die Frauen nur selten erreichten, die Geschlechtszugehörigkeit eine entscheidende Rolle spiele. In beiden Staaten dominierte lange Zeit das Modell des strong male breadwinner, also die Ausrichtung der Sozialleistungen auf eine Normalfamilie mit erwerbstätigem Vater und Familienarbeit leistender Mutter. Dies galt auch für die Alterssicherung, die in beiden Ländern für Frauen meist aus abgeleiteten Leistungen bestand. Obwohl eigentlich zu vermuten wäre, dass die egalitäre Grundrente des britischen Systems zu größerer Geschlechtergerechtigkeit führen würde als das deutsche System, zeigte Kuller, dass dies gerade nicht der Fall war. Denn die britische Regierung förderte an die Erwerbsarbeit geknüpfte betriebliche Zusatzrenten, zu denen Frauen mit einer unregelmäßigen Erwerbsbiographie kaum Zugang hatten. Bis Mitte der 1970er-Jahre konnten Frauen zudem nicht individuell, sondern lediglich über Einzahlungen des Ehemanns zusätzliche Rentenansprüche erwerben, eine andere Möglichkeit war der komplette Ausstieg aus der Rentenversicherung, den viele Frauen wählten. Gerade jene Option führte dazu, dass die Mehrzahl der Frauen in Großbritannien heute lediglich Anspruch auf eine sehr niedrige Grundrente hat, so das das Altersarmutsrisiko von Frauen in Großbritannien mittlerweile signifikant höher liegt als in der Bundesrepublik. Der bundesdeutsche Staat schuf dagegen zunehmend Möglichkeiten für Frauen, zum Beispiel über Teilzeitarbeit eine eigene, wenn auch selten ausreichende, Rentenanwartschaft aufzubauen. Mit diesem Beispiel konnte Kuller überzeugend darlegen, dass die Kategorie Geschlecht oftmals quer zur traditionellen Wohlfahrtsstaatstypologie steht und dass Geschlechterarrangements bei der Wirkungsweise von sozialstaatlichen Maßnahmen generell eine hohe Bedeutung zukommt.

LUTZ LEISERING (Universität Bielefeld) beschäftigte sich ebenfalls mit der Rentenversicherung – der „heiligen Kuh“ des deutschen Wohlfahrtsstaates, während in Großbritannien der öffentliche Gesundheitsdienst (NHS) als unantastbares Element gilt, vor dem sogar Margaret Thatchers Reformwut zurückschreckte. Leisering prägte in seiner Analyse den einleuchtenden Begriff der „Ungleichheitsräume“, die durch sozialstaatliche Maßnahmen geöffnet oder „eingehegt“ würden. Am Beispiel der bundesdeutschen Rentenreform von 1957 führte er aus, dass diese einen neuen Ungleichheitsraum eröffnete, indem sie die Status erhaltende gesetzliche Rente zur wichtigsten Quelle für das Alterseinkommen machte und so Ungleichheitsverhältnisse des Arbeitsmarktes in das Alter transferierte. In Deutschland zielte die Rentenpolitik in den nächsten Jahrzehnten vor allem darauf, die „Fiktion der Lebensstandardsicherung“ aufrecht zu erhalten. Erst mit der Riesterrente von 2001 wurde das deutsche System stärker zu den Vorsorgemärkten geöffnet. Damit entstanden neue Ungleichheitsräume, die allerdings politisch wiederum stark eingegrenzt wurden. Solch eine Öffnung war in Großbritannien weit früher eingetreten, denn die 1948 eingeführte einheitliche Rentengrundsicherung schuf von Anfang an viel Raum für zusätzliche private oder betriebliche Vorsorge, die nur wenig reguliert wurde. Hier wandte sich das Rentensystem grundsätzlich stärker dem Markt zu. Allerdings funktionierte dieses Modell nicht überzeugend, so das die Politik in den nächsten Dekaden immer wieder mit Reformen der staatlichen und privaten Vorsorge eingriff. Leisering beschäftigte sich in seinen Überlegungen auch mit den Unterschieden der jeweiligen Regierungsformen und deren Einfluss auf sozialpolitische Regelungen: In Deutschland waren durch Föderalismus und den Einfluss starker Verbände nur langsame Veränderungen möglich, während es im zentralistisch organisierten Großbritannien ohne föderale Ebene und Blockaden durch starke Verbände gerade in den letzten Jahren unter New Labour zu ständigen Änderungen in der Rentenversicherung kam. Die rasche Abfolge von Eingriffen bürdete aber den Bürgern Entscheidungen innerhalb eines kaum noch durchschaubaren, hochkomplexen Rentensystems auf. Leisering konstatierte in beiden Ländern einen Trend zu mehr Ungleichheit und zur Individualisierung der Ungleichheit, auch wenn in Deutschland die Einhegungsstrategien ausgeprägter blieben. Seine Überlegungen zum Entstehen von Sicherungsfiktionen, die vor allem in Deutschland tatsächliche Ungleichheiten überlagerten, eröffneten einen höchst anregenden, neuen Blick auf wohlfahrtsstaatliche Systeme.

Abschließend unternahm es CORNELIUS TORP (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/European University Institute Florenz), das Thema des Panels auf einem höheren Abstraktionsniveau anzugehen und unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen in der Konstruktion der beiden Sozialstaaten zu identifizieren. Er stellte zunächst die für die Wohlfahrtsstaatsanalyse entscheidenden Prinzipien distributiver Gerechtigkeit vor: Bedarf (need), Leistung (merit) und Gleichheit (equity), anhand derer er verschiedene Bereiche der Sozialpolitik – Gesundheit, Alter und Arbeitslosigkeit – durchdeklinierte, wobei die Fokussierung auf die Gerechtigkeitsprinzipien allerdings die Frage der Ungleichheit etwas in den Hintergrund treten ließ. In der Gesundheitspolitik zeigten sich trotz der ganz unterschiedlichen Systeme ähnliche Gerechtigkeitsprinzipien: Die Finanzierung funktionierte in beiden Staaten über das Leistungsprinzip, während der Zugang durch Gleichheits- und Bedürftigkeitsüberlegungen geregelt wurde. Im Bereich der Altersvorsorge differierten dagegen nicht nur die Systeme, sondern auch die Gerechtigkeitsvorstellungen: In Deutschland war die Rente deutlich an Leistungsgerechtigkeit orientiert, während in Großbritannien das Bedürftigkeitsprinzip stets eine hohe Relevanz behielt. Grundsätzlich kam Torp zu dem Schluss, dass in Großbritannien wie in Deutschland seit Beginn der 1980er-Jahre die Ausrichtung an need zunehmend in den Vordergrund trete. Dies ließe sich gerade am Beispiel der Arbeitslosigkeit verdeutlichen, wo sich mit „Hartz IV“ auch in Deutschland das Bedürftigkeitsprinzip in der Arbeitslosenhilfe durchsetzte. Sehr interessant erschien Torps Überlegung, dass die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme ganz erheblich von den im jeweiligen System vorherrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen geprägt sei.

In seinen beiden, pointiert vorgetragenen Kommentaren rekurrierte LUTZ RAPHAEL (Universität Trier) unter anderem darauf, dass Ungleichheitsfragen die gesamte Gesellschaft beträfen und Ungleichheit im Sozialstaat meist nur wahrgenommen werde, wenn sie sich mit anderen Problemen und Defiziten verbinde. In allen Bereichen des Sozialstaats sei zudem eine Zäsur am Ende der 1970er-Jahre auszumachen, die „nach dem Boom“ die prinzipielle Ausrichtung beider Sozialstaaten deutlich verändert habe. Er verwies auch auf den wichtigen Effekt der „Übereinanderlagerung von Zeiten“: Gerade bei der Rentenpolitik träten die Auswirkungen von Entscheidungen oft erst eine Generation später auf, während andere Maßnahmen sofortige Wirkung zeitigten, was die Kalkulation von Auswirkungen erschwere und sozialpolitisches Handeln deutlich verkompliziere.

Insgesamt förderte die Sektion mit ihrem komparativen Ansatz und der Verknüpfung von abstrakten Ungleichheitsvorstellungen und konkreter Sozialpolitik höchst interessante Ergebnisse zu Tage. Dabei fokussierten die Beiträge allerdings etwas stark auf die Rentenversicherung. Grundsätzliche politische und gesellschaftliche Unterschiede der beiden Staaten, die auch auf die Rahmenbedingungen von sozialpolitischen Entscheidungen einen erheblichen Einfluss hatten, so zum Beispiel die in Großbritannien größere Akzeptanz von sozialen und ökonomischen Unterschieden, blieben bei der Untersuchung der oft hochkomplexen Einzelphänomene, denen sich die Referenten widmeten, etwas blass. Diese Aspekte griff dafür die Diskussion verstärkt auf, in der auch dafür plädierte wurde, die DDR und den größeren europäischen Kontext intensiver in den Untersuchungsrahmen einzubinden. Die Sektion zeigte insgesamt, wie produktiv eine Sozialstaatsanalyse unter neuen Prämissen sein kann und unterstrich gleichzeitig den Wert eines komparativen Vorgehens in diesem Feld sehr deutlich.

Sektionsübersicht:

Hans Günter Hockerts (München): Einführung

Winfried Süß (Potsdam): Armut im Wohlfahrtsstaat

Wilfried Rudloff (Kassel): Ungleiche Bildungschancen als sozialpolitische Herausforderung

Christiane Kuller (München): Geschlechterdifferenzen in der sozialen Sicherung

Lutz Leisering (Bielefeld): Vom Wohlfahrtsstaat zum Wohlfahrtsmarkt? Neue Tendenzen sozialpolitischer Regulierung

Cornelius Torp (Halle/Florenz): Gerechtigkeitsvorstellungen in der Konstruktion sozialer Sicherung

Lutz Raphael (Trier): Kommentar


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